Diejenigen, die mir der Vater mir gegeben hat

Mitarbeiterin Hannah Potts interviewt Matthias Langhans, Leiter von Campus für Christus Österreich

Matthias, Jesus sagt seinen Jüngern, dass sie Jünger machen sollen. Mal blöd nachgefragt: Ist jeder Christ eigentlich ein Jünger?

Jeder Christ ist ein Jesus-Jünger. Es geht als Christ nicht nur um meine Erlösung, sondern darum, dass ein Herrschaftswechsel stattfindet: Ab jetzt folge ich König Jesus nach.


Was ist Jüngerschaft eigentlich? Das Wort selbst kommt in der Bibel ja nicht vor.

Um Jüngerschaft zu verstehen, hilft das Bild der natürlichen Familie: Kinder sind zuerst mit ihren Eltern eng unterwegs, wachsen und gründen selbst wieder eine Familie. Dabei durchlaufen sie eine phasenweise Entwicklung vom Kindsein bis zum Erwachsenwerden. Johannes beschreibt im 1. Johannes, Kapitel 2 diese Entwicklung:

Zuerst: “Ich schreibe euch, ihr Kinder, dass euch durch seinen Namen die Sünden vergeben sind.” (Vers 12) Im Vers 14a schreibt er weiter, dass die Kinder ihren Vater erkannt haben. Die Basis von Jüngerschaft ist, dass man durch Vergebung und Gnade in Gottes Familie aufgenommen wird. Gesunde Jüngerschaft muss auf der Identität des Angenommen-Seins als Kind vom himmlischen Vater aufgebaut sein.

Dann: “Ich schreibe euch, ihr jungen Männer, dass ihr stark seid, dass das Wort Gottes in euch bleibt und dass ihr den Bösen besiegt habt.” (Vers 14c) In dieser geistlichen Jugendphase geht es um Wachstum in Herausforderungen, Leid und Anfeindung. Wie kann man in Schwierigkeiten im Wort bleiben? Es ist wichtig, dass die “Glaubensmuskeln” trainiert werden.

Und: “Ich schreibe euch, ihr Väter.” (Vers 14b) In der dritten Phase geht es darum, Jüngerschaft in die nächste Generation zu tragen. Wir geben das, was wir empfangen haben, an andere weiter. Das Ziel in einer natürlichen Familie ist, dass die Kinder selbstständig werden. Eltern wollen nicht, dass ihre Kinder mit fünfzig Jahren immer noch zu Hause wohnen, sondern wieder eine eigene Familie gründen. Genauso ist es mit Jüngerschaft.


Was ist bei der Jüngerschaft eigentlich unsere Rolle und was die Rolle Gottes?

Ich komme wieder auf das Bild der Familie zurück: Kinder imitieren ihre Eltern. Ich imitiere Jesus. Jesus hätte auch als Schriftgelehrter im Tempel Hunderte lehren und so in Menschen investieren können. Aber er hat sich entschieden, mit Einzelnen ganz eng unterwegs zu sein. Seine Jünger waren so nah an ihm dran, dass sie sich alles bei ihm abschauen konnten: Wie ist Jesus mit seinem himmlischen Vater umgegangen? Wie hat er Menschen behandelt? Wie ist er mit Konflikten umgegangen?

In Johannes 17 nennt Jesus seine Jünger «diejenigen, die der Vater mir gegeben hat». Auch uns gibt der Vater nicht jeden. Es gibt ganz konkrete Menschen, die der Vater uns gegeben hat. Jüngerschaft geht zuerst nicht in die Breite, sondern in die Tiefe. Im Natürlichen hast du in der Familie eine begrenzte Anzahl an Menschen, mit denen du unterwegs bist, keine hundert Kinder. Im Geistlichen sehe ich dasselbe Prinzip. Und über Generationen und Multiplikation können dann wiederum Tausende bewegt werden. Daher gilt: Fokussiere dich auf wenige, um viele zu erreichen!

Für diese enge Jüngerschaft gibt es wohl kein Programm …

Ich bin nicht gegen Programme. Es geht vielmehr um die Herangehensweise: Vielleicht ist es weniger entscheidend, was genau in einem Programm oder Event passiert, sondern wichtiger, andere darin zu begleiten und zu coachen. Der Fokus liegt dann darauf, Menschen zu befähigen. Das Ziel ist, dass wir andere um uns herum trainieren, damit sie wiederum in andere Menschen investieren.


Wo siehst du in unserer Kultur Herausforderungen für Jüngerschaft?

Lukas 10 ist für mich ein Schlüsseltext zu diesem Thema. Jesus sendet hier seine Jünger aus. Ich sehe darin zwei Herausforderungen für uns. Erstens gibt Jesus seinen Jüngern die Anweisung: “Grüßt niemanden.” Für die heutige Zeit lese ich daraus ab: Lasst euch nicht ablenken! Das Ziel davon, nicht abgelenkt zu sein, ist, dass wir länger an dem Ort und bei den Menschen sein können, zu denen Jesus uns gesandt hat. Wir fokussieren uns also, damit wir mehr Zeit haben. Konkret sehe ich hier auch eine Parallele zu den sozialen Medien, die oft wie ein “Begrüße-jeden-und-mach-Smalltalk”-Modus sind.

Die zweite Herausforderung ist: Jesus sagt, dass er die Jünger wie Lämmer unter Wölfe schickt. Mich berührt es, dass Jesus nicht mit Dominanz kam, sondern als Lamm. Jesus war bereit, als Lamm zu leiden, um Menschen zu dienen. Wir können ihn als Vorbild nehmen. Sind wir bereit, abgelehnt zu werden? Sind wir bereit, Kosten der Nachfolge auf uns zu nehmen?


Was liegt dir zum Abschluss noch besonders am Herzen?

Ich liebe das Beispiel der irischen Mönche, die im 6. und 7. Jahrhundert aus Irland nach Mitteleuropa kamen. Sie kamen nicht zuerst, um Menschen zu dienen. Sie sind in die Fremde gegangen, um Christus so nahe wie möglich zu sein, der selbst vom Himmel her in die “Fremde” in unsere Welt gekommen ist. Wenn ich als Gesandter lebe, imitiere ich Christus und bin ihm so nahe, wie es nur möglich ist. In dem, dass ich Menschen liebe, liebe ich vor allem zuerst Christus.